Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit;

Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden gesättigt werden.

Selig, die Frieden stiften;  denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.  Mt 5,6.9

Gedanken

Seit fast einem Jahr leben wir nun in einer „Zeitenwende“. So hat es jedenfalls Olaf Scholz, der Bundeskanzler, am 27. Februar 2022 im Deutschen Bundestag formuliert. Wenn wir das ernst nehmen, dann leben wir auch in einer Denk-Wende oder Beurteilungs-Wende. Vieles, was man bisher gedacht hat, wurde über den Haufen geworfen, lässt sich so einfach nicht mehr weiter denken. Wir haben zum Beispiel gedacht: In Europa kann das nicht sein, dass Länder gegen andere Länder einen Krieg führen. Und wir wurden eines Besseren belehrt. Oder treffender: Wir wurden eines Schlechteren belehrt.

Seit einem Jahr müssen wir uns neuen Fragen und Herausforderungen stellen. Zum Beispiel, wie und von wem wir Gas geliefert bekommen. Ob wir Waffen in Kriegsgebiete liefern sollen. Und wenn ja, welche.

In diesem Zusammenhang muss sich auch eine christliche Friedensethik neu positionieren. Die kam ja bisher oft sehr pazifistisch daher. Nie wieder Krieg. Frieden schaffen ohne Waffen. Kriegsdienstverweigerung galt als die wahre christliche Handlungsweise, Soldaten wurden eher geduldet.

Begründet wurde dies zum Beispiel mit dem alttestamentlichen Wort „Schwerter zu Pflugscharen“. Und natürlich mit den Seligpreisungen der Bergpredigt: Selig, die Frieden stiften. Selig die Sanftmütigen.

Doch wenn man sich die Texte einmal genauer ansieht, dann sind sie gar nicht so eindeutig, wie es scheint. Der Jesaja-Text, der es ja als Aufnäher auch in die Endzeit der DDR geschafft hat, steht in einem endzeitlichen Kontext (vgl. Jes 2,2ff.). Am Ende der Tage wird es geschehen, heißt es dort. Das heißt: Am Ende, wenn Gott alles vollendet, wenn die heile Welt kommt, dann kann man Schwerter zu Pflugscharen umschmieden. Vorher aber ist es zumindest schwierig. Ja, an einer anderen Stelle der Bibel, beim Propheten Joel, gibt es, wenig bekannt, sogar die umgekehrte Empfehlung: Schmiedet Schwerter aus euren Pflugscharen/und Lanzen aus euren Winzermessern/der Schwache soll sagen: Ich bin ein Kämpfer. (Joel 4,10).

Und in der Bergpredigt heißt es ja nicht: Selig die Friedfertigen oder die Zufriedenen. Sondern wörtlich: Selig die Friedensstifter. Die Friedensmacher. Und auch: Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit.

Es geht also nicht um Friede, Freude, Eierkuchen. Sondern um einen Frieden, der wirklich Be-Friedung schafft. Keinen Diktat-Frieden. Und Friede und Gerechtigkeit – das sagt sich so schön in einem Atemzug. Aber das kann auch ein Zielkonflikt sein. Wenn ich um des lieben Friedens willen alle Ansprüche, alle gerechtfertigten Forderungen zurückstelle, dann kann dies wohl auch nicht richtig sein. Denn das führt ja auf Dauer und im Ganzen zu Ungerechtigkeit, zu Unterdrückung, zum Recht des Stärkeren. Es gibt keinen wirklichen Frieden ohne Gerechtigkeit. Bevor ich dem anderen nicht gerecht geworden bin, kann keine Versöhnung stattfinden.

Insofern ist es verständlich, dass schon das Neue Testament selbst die Radikalität der Bergpredigt relativiert. Heißt es im Matthäus-Evangelium noch „Selig die Sanftmütigen“, und wird im Konfliktfall dazu aufgefordert, auch noch die andere Wange hinzuhalten, liest sich das bei Paulus schon etwas anders. Er schreibt im Römerbrief: „Soweit es euch möglich ist, haltet mit allen Menschen Frieden!“ (Röm 12,18).

Insofern ist es nur konsequent, dass die Kirche im Laufe ihrer Geschichte einen doppelten Weg gegangen ist. In ihrem eigenen Bereich hat sie die Radikalität der Bergpredigt bewahrt. Und zwar vor allem im Mönchtum. Ein Christ im Mönchsgewand als Soldat – bis heute unvorstellbar. Aber in Bezug auf die Welt und die politischen Verhältnisse musste man zu anderen Regelungen kommen. So entwickelt sich die Lehre vom gerechten Krieg. Genauer müsste man sagen: die Lehre vom gerechtfertigten Krieg. Krieg ist zwar, so hat es einmal Papst Johannes Paul II. gesagt, immer eine Niederlage der Menschheit. Aber es gibt eben Bedingungen, unter denen es gerechtfertigt ist, Waffengewalt einzusetzen. Und dann handelt es sich um einen gerechtfertigten Krieg. Der aber von der Natur der Sache her immer nur ein Verteidigungskrieg sein darf.

Wir leben eben in einer Welt, die (noch) nicht vollkommen ist. Wo die Mächte des Bösen walten. Wo nach dem berühmten Schiller-Wort auch „der Frömmste nicht in Frieden bleiben kann, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt“. Das heißt: Die Welt kann uns keinen vollkommenen, endgültigen Frieden geben. Frieden gibt es immer nur im Fragment, vorläufig. Waffengewalt ist manchmal unvermeidlich. Ohne Soldaten, ohne Militär geht es leider nicht. Auch christlich gesehen nicht.

Aber christlich gesehen gibt es immer eine Hoffnungsperspektive. Diese Hoffnungsperspektive findet sich in der Bergpredigt, in den Seligpreisungen. Auch wenn sie zunächst auf die Gemeinde der Jüngerinnen und Jünger Jesu abzielen – sie üben bis heute eine Faszination aus, die weit über das Christentum hinausreicht. Kein Mensch guten Willens wäre nicht berührt von diesem Kernstück der Verkündigung Jesu. Und wir dürfen begründet hoffen, dass am Ende nicht die Mächte des Bösen die Oberhand behalten, sondern die Macht des Guten. Biblisch gesprochen: das Reich Gottes. Es wächst langsam, es gibt Rückschläge, es ist nicht einfach machbar, es muss je neu erbeten werden. Aber es kommt. Endgültige Versöhnung und Friede in der neuen Welt Gottes.

Für jetzt aber bleibt nur das Fragment, das Vorläufige, das Unbefriedigende, das manchmal Un-Selige. Dies gilt es auszuhalten und durchzuhalten. Wir dürfen vor den Realitäten dieser Welt nicht die Augen verschließen, müssen realistisch bleiben. Auch in der Kirche, in der Jüngergemeinde Jesu von heute. Und dürfen doch immer wieder das Wort Jesu aus dem Vater Unser, übrigens ebenfalls ein Teil der Bergpredigt, beten: Dein Reich komme.

Rüdiger Hagens in DIE BOTSCHAFT HEUTE (11/2022)