Endlich, nach 165 km anstrengenden schweißtreibenden Weges, habt ihr die letzten 5 km mit eigener Kraft hierher zurückgelegt. Für manche sicherlich eine große Herausforderung, angesichts der Tatsache, dass sie in den meisten Fällen bis vor die Tür der Schule gefahren werden oder zumindest der Bus nur wenige hundert Meter entfernt hält.
Heute war der Weg aber nicht Mittel zum Zweck, um in die Schule oder an einen anderen Ort zu gelangen, sondern eigentlich selbst das Wesentliche. Auch, wenn ihr nicht wirklich sehr weit zu laufen hattet, so war der Weg hierher das Wichtigste.
Wie am Anfang schon gesagt, es ging nicht um Schnelligkeit. Wichtig war nur, dass alle gesund hier angekommen sind, ihr auf dem Weg nicht nur stur gewandert seid, euch nicht abgehetzt habt wie Marathonläufer und ihr hoffentlich dabei auch ein wenig Spaß hattet.
Das ist etwas, was heute viel zu kurz kommt. Also nicht der Spaß, da meine ich, muss sich trotz der Anstrengungen in der Schule keiner beschweren, sondern dieses mehr oder weniger absichtslose Unterwegssein.
Kein Zieleinlauf, keine Medaillen oder Urkunden, keine Siegerehrung, aber etwas Gemeinsames steht am Ende dieser Tour, ein Gottesdienst beschließt unsere Wallfahrt.
Und so sind wir hier in einem wunderschönen Raum zusammengekommen, bei, auch wenn das vielleicht nicht jedermanns Musikgeschmack sein wird, trotz allem zauberhafter Musik und denken darüber nach, was unser Leben zu einem gelingenden Leben macht, in dessen Mittelpunkt nicht nur Leistung und Erfolg stehen, sondern das Leben selbst in seiner ganzen Schlichtheit.
Es war für mich bei der Vorbereitung wieder einmal faszinierend, wie sich im Laufe der Zeit Texte und Gedanken zusammenfügten, ohne dass man viel darüber geredet hätte. Wie unterschiedliche Anliegen, Gebote und Absichten sich zu einem Ganzen fügten.
Das Wallfahrtsthema von Vierzehnheiligen stammt in diesem Jahr aus dem Buch des Propheten Jesaja, wo es heißt: „Siehe, nun mache ich etwas Neues. Schon sprießt es, merkt ihr es nicht?“ (Jes 43, 19)
Es scheint zusammenhanglos, die Lesung, das Evangelium, das Leitmotto, unsere Schulpilgerfahrt, aber wenn man sich darauf einlässt, dann lassen sich Zusammenhänge erkennen.
Man muss natürlich diesen Satz: „Merkt ihr es nicht?“ auch ernst nehmen, denn der ist in diesem Zusammenhang fasst der wichtigste, denn ich muss diese Dinge auf mich wirken lassen und zulassen, dass es da Verbindungen gibt, die sich auf Anhieb eben nicht erschließen.
Für mich hatte dieses Wort so etwas Frühlingshaftes: „Siehe, schon sprießt es!“ Jedes Jahr ärgere ich mich, wenn ich von zu Hause über den Berg durch die Felder zur Stadt fahre und mir plötzlich auffällt, dass die Bäume schon richtig grün sind und die Saat hochaufgegangen, dann denke jedes Mal, dieses Jahr hast Du schon wieder den Frühling verpasst und ich nehme mir vor im nächsten Frühjahr aufmerksamer zu sein. In diesem Jahr hat das funktioniert, ich bin nämlich meistens über den Berg gelaufen und nicht gefahren und dabei habe ich auch die kleinen Veränderungen wahrnehmen können, habe genau gesehen, wann das eine oder andere aufging.
Und so, wie man aufmerksam durch die Natur gehen kann und die kleinen Veränderungen wahrnehmen, die sich täglich ereignen, aber im Vorüberflug unsichtbar bleiben, so muss man auch lernen, auf die leisen Töne zu hören, die kleinen Gesten zu deuten, für Weniges dankbar zu sein und genau hinzuhören, was da um uns gesagt und gemacht wird, das nennt man übrigens Leben, mehr ist das nicht. Aufmerksamkeit und Obacht für die Umwelt.
Und an der Stelle möchte ich auf das heutige Evangelium zu sprechen kommen, das so gar nichts mit Wallfahrt oder Unterwegssein zu tun zu haben scheint, dafür aber ganz viel mit Aufmerksamkeit und unserem Leben.
Worum geht es in der Geschichte? Um die Ehe, um verstorbene Ehegatten oder wiederholtes Heiraten? Die Geschichte erinnert ja fast ein wenig an einen Film mit Julia Roberts: „Die Braut, die sich nicht traut“, die gefühlt sieben Männer vor dem Altar stehen lässt, es waren übrigens nur 5, aber die Frau im Evangelium heiratet wirklich alle sieben. Nein, darum geht es nicht, es geht um Besitzdenken.
Besitzdenken wird in Deutschland großgeschrieben. Man fragt oft nicht: Wer bist Du? oder Was kannst Du?, sondern vielmehr: Was hast Du?
Vor einigen Jahren gab es einmal im Fernsehen eine lustige Werbung einer Bank:
Da trafen sich zwei alte Schulfreunde und auf die Frage, wie es dem anderen ginge knallte der nacheinander 3 Fotos mit den Worten auf den Tisch: „Mein Auto, mein Haus, meine Yacht!“ Ja, der hatte es offensichtlich geschafft. Einen dicken Porsche, eine große Villa und dann zu allem Überfluss noch eine große Segelyacht.
Aber Menschliches blieb dabei ganz außen vor, vielleicht die Botschaft, ich habe eine Familie, ich habe Kinder und meinen Eltern geht es auch gut, ich bin gesund oder gar glücklich. Es ging allein um Besitz, der mich nach dieser Werbung offensichtlich zu dem machte, was ich sein wollte oder vielleicht besser, nach Meinung der Bank, sein sollte, erfolgreich.
Im Evangelium geht es um etwas ganz ähnliches, die Sadduzäer tragen Jesus eine konstruierte Geschichte vor und die ist, wie sollte es damals anders sein, von Männern erzählt, patriarchalisch geprägt. Es geht darin nicht um die Frau, obwohl sie doch eigentlich die zentrale Figur war.
Die Frau wird lediglich als Mittel betrachtet, es geht um den Fortbestand der Familie und so wird sie von einem Mann zum anderen weitergereicht wie ein Besitz, vielleicht im gut gemeinten Sinne, aber bekanntlich ist ja „gut gemeint“ das Gegenteil von gut.
Und so geht die Frage der Sadduzäer auch in derselben Richtung weiter, wenn sie Jesus danach fragen, wem denn die Frau bei der Auferstehung gehört, als ob sie ein Gegenstand wäre, so wie man früher auch sagte, es habe sich jemand Kinder angeschafft, so als habe er sich einen Hund oder ein Auto gekauft.
Jesus kann darüber nur den Kopf schütteln. Zum einen spielt der Mensch bei ihm immer die erste Geige und ist niemandes Besitz und zum anderen macht er den Sadduzäern noch deutlicher klar, dass sie mit ihrem Besitzdenken so nicht über das Himmelreich denken können, dass sie falsch liegen und stellt klar, da lässt sich kein Hab und Gut hinüberretten.
Bei der Auferstehung geht es um eine ganz andere Qualität, eben nicht mehr ums Haben, sondern um ein neues Sein und dieses neue Sein, nennen wir ewiges Leben.
Gott will, dass Menschen ein wirkliches Leben erfahren, ein Leben in Fülle und auch in Zufriedenheit, aber eben nicht gebunden an materielle Werte, sondern dieses Leben in Fülle heißt ganz Mensch zu sein. Und ehe jetzt jemand kritisiert, damit vertrösten wir auf´s Jenseits. Dazu habe ich einen spannenden Satz gelesen: „Wer meint, man dürfe dieses neue Leben erst nach dem Tod ansiedeln, der irrt gewaltig, denn durch sein Wirken macht Jesus deutlich, dass es schon jetzt zu erfahren ist.“
Ich denke es kommt darauf an, die Dinge im Zusammenhang zu sehen, aber gerade, weil wir uns oft auf den Genuss des Moments, auf die Chance, die wir wittern, auf den Gewinn, den wir machen können, konzentrieren, verlieren wir das Große und Ganze ebenso aus dem Blick, wie die Kleinigkeiten des Lebens und sind so nur am Tagesvorteil interessiert.
Endlich wieder mehr sehen als nur das, was ich auf den ersten Blick sehe, sondern in den Kleinigkeiten des Lebens das Große zu entdecken, an dem Kleinen Freude zu haben und sich mit Wenigem zufrieden zu geben, sich an kleinen Dingen zu erfreuen und am Ende doch alles zu bekommen.
So wie es Jesaja übrigens schon verheißt, wenn man seinen Text weiterliest, denn der geht mit einer Zusage weiter, nämlich dass Gott einen Weg in der Wüste machen möchte und Wasserströme in der Einöde fließen lässt.
Doch oft denken wir eben nicht nach oder unsere Bedenken ersticken alles Neue und Herausfordernde und so denken wir im Moment nur an unseren eigenen Vorteil, so wie wir es dann gleich im Chorstück hören werden.
Wir haben erst überlegt, ob wir dieses Stück überhaupt vortragen können, da es aus der Johannespassion stammt und wir ja nicht mehr in der Passionszeit sind, aber es passt besser denn je.
Denn es war auch Petrus schon so gegangen, wenn es dort heißt: „Petrus der nicht denkt zurück, seinen Gott verneinet.“ Weil er eben nicht nachgedacht hat, weil er nicht vertraut hat, im Augenblick an sein Leben und seinen Vorteil gedacht hat und darüber das große Ganze aus dem Blick verloren.
Wenn wir heute hier auf Wallfahrt unterwegs gewesen sind, dann war auf den ersten Blick jede Klasse allein unterwegs und letzten Endes vielleicht sogar, dass der eine oder andere, der nicht so gern wandert, sich in seiner Gruppe noch einmal alleine gefühlt hat und sich vielleicht sogar gefragt, was mach ich hier eigentlich.
Aber letzten Endes sind wir alle hier Bestandteil eines großen Ganzen gewesen, sternförmig sind wir zusammen gekommen aus vielen Orten, die diese Kirche umgeben und hatten uns auf den Weg gemacht miteinander mitten im Schulalltag etwas neues Anderes zu machen und aus dem alten Trott auszubrechen.
Vielleicht ist ja der heutige Tag für einige der Anfang von etwas Neuem, einer neuen Suche oder sogar eines Angekommenseins, mehr als nur eine Busfahrt und eine Wanderung, sondern ist die Zeit des Unterwegsseins zum Beginn eines neuen Weges geworden.
Fest steht, eine Wallfahrt heute zu machen war erst einmal ungewohnt, jedenfalls ungewohn-ter als nun im Gottesdienst in einer großen Gemeinschaft beieinander zu sein und zu feiern, wie wir es mehrmals im Schuljahr in unserer Schulkirche tun. Womit wir zum Ausdruck bringen, dass wir nicht nur eine Lehr- und Lerngemeinschaft sind, sondern auf ganz unterschiedlichen Wegen, mit unterschiedlichen Intention, unterwegs sind, auf einem Stück Lebensweg.
„Jesu blicke mich auch an, wenn ich nicht will büßen!“ und darauf können wir uns verlassen, denn so geht es im Chorstück um Petrus weiter, dass die Gnade Jesu soweit geht, dass er nicht nur über unsere kleinen Unzulänglichkeiten hinwegsieht, sondern dass er immer für uns da ist, egal von wo wir herkommen, wie lange wir unterwegs sind, wie unser Weg auch ausgesehen hat, wenn wir uns nur auf ihn einlassen.
Ich hoffe, dass ihr viel von dem eben Gesagten heute schon erlebt habt und dass ihr in der nächsten Zeit noch viel mehr davon erleben werdet, in eurer Schulzeit auf eurem Lebensweg in unserer Schulgemeinde.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
(Es gilt das gesprochene Wort.)
Pfr.i.E. Kay Lohse