Diesen Donnerstag feiern die Juden das Fest Purim. Es handelt sich um ein kleines eintägiges Fest und ist sicherlich nicht vielen wirklich bekannt. In der 5. Klasse lernt man darüber etwas im Religionsunterricht. Es erinnert an die im alttestamentlichen Buch beschriebene Rettung des jüdischen Volkes durch Ester, aus der drohenden Gefahr durch Haman, den Kanzler des persischen Königs. Ein Los sollte den Zeitpunkt der Vernichtung bestimmen, daher der Name des Festes: Purim = Lose.
Als ich mir die Geschichte versuchte in Erinnerung zu rufen, konnte ich den Gedanken an den Krieg in der Ukraine nicht mehr loswerden. Zwar geht es letztlich um ein gänzlich anderes Setting, aber dieser Vergleich, dass nach dem Buch Ester Haman, der höchste Regierungsbeamte des persischen Königs, die gesamten Juden im damaligen persischen Weltreich an einem Tag zu ermorden versuchte, drängte sich mir geradezu auf. Haman nutzte sein Amt selbstsüchtig aus. Die königliche Dienerschaft musste vor ihm niederknien. Esters Cousin und Adoptivvater Mordechai hatte sich als Jude jedoch geweigert. Aus Rache soll Haman die Tötung sämtlicher Juden beschlossen haben. Ich habe keine Ahnung, welche Pläne im Kopf des russischen Präsidenten vor sich gehen, aber letztlich nimmt auch er meines Erachtens aus selbstsüchtigen Gründen den Tod vieler unschuldiger Menschen in Kauf. Möglicherweise sind solche Vergleiche nicht sehr sinnig und hinken immer etwas, aber um im Bild zu bleiben, es setzen sich gerade jetzt in der Ukraine viele unter Einsatz ihres Lebens für ihr Volk ein, so wie das Ester, die Königin, gemacht hat und sich damals beim König für die Rettung der Juden eingesetzt hatte, denen er daraufhin erlaubte, sich zu verteidigen.
Wenn man sich über diese Dinge Gedanken macht, dann kann man schnell Angst bekommen und sich nicht nur um die Menschen in den Kriegsgebieten sorgen, sondern auch um die eigene Sicherheit und Angst um den Frieden auch hier bei uns bekommen und dann fragt man sich vielleicht, ob man bisher alles richtig gemacht hat und ob man schon alles erreicht hat, was man wollte und macht sich Sorgen um die Dinge, welche man besitzt, angefangen beim Wohlstand bis hin zu den materiellen Gütern, ganz zu schweigen von der persönlichen Gesundheit und dem Leben der Liebsten, der eigenen Familie.
Und dann stellt man sich vielleicht auch die Frage danach, ob man bisher etwas verpasst hat. Kann man sein Leben verpassen? Ja, man kann. Und zwar dann, wenn man es unter allen Umständen nicht verpassen will. Klingt paradox, ist paradox. In der Geschichte vom reichen Mann, der sich in Purpur kleidete und Tag für Tag glanzvolle Feste feierte und dem armen Lazarus, wird uns das vor Augen geführt. Als der Reiche nach seinem Tod begraben wird und aus der Unterwelt aufblickt, da sieht er den armen, im Leben immer benachteiligten Lazarus in Abrahams Schoß und er merkt, dass er im Leben zwar alles hatte, aber alles war nicht genug! Nun will er, dass man wenigstens seine Brüder warne, damit ihnen nicht das gleiche Schicksal widerfährt. Doch Abraham verweist auf Mose und die Propheten, auf die sollen sie hören, dann wird ihnen ein solches Leid nicht wiederfahren. Man könnte auch etwas flapsig sagen, sie müssten nur die Augen aufmachen oder wie die Eltern so oft zu ihren Kindern sagen: Das habe wir dir doch gleich gesagt. Diese Geschichte Jesu trägt höchst moderne Züge, der Reiche will wie die Selbstoptimierer des 21. Jahrhunderts das Leben in vollen Zügen genießen. Seine Welt ist eine Blase aus Glanz und Tanz. Krankheit, Alter und Tod haben darin keinen Platz. Doch jede Party hat, so wie das Leben, einmal ein Ende.
Was lerne ich daraus? Ich nehme den Gedanken mit, dass es wichtig ist, nicht nur die eigene Welt zu sehen, sondern auch die der anderen Menschen. Wo leiden Menschen? Geht mein Lebensstil auf Kosten anderer? Dann sollte ich dringend etwas ändern, möglichst jetzt gleich.
Pfr.i.E. Kay Lohse