Ist uns das Kreuz vertraut oder ist es uns fremd? Vertraut ist es uns, weil wir es in der Kirche auf dem Altar sehen und wir unsere Identität als Christen damit verbinden. Aber ist es uns nicht auch manchmal fremd mit seiner Botschaft des Leidens mitten in einer Welt, in der Nichts stören darf, weil alles so perfekt funktionieren muss?
Wem das Kreuz vertraut ist, der findet es überall. In Fensterkreuzen oder als Wegkreuzung sogar als Kreuzschraube im Werkzeugkasten. Es gibt ein ganzes Kreuz Memory, bei dem auf allen Karten Kreuzmotive, die uns im Alltag begegnen, abgebildet sind. Manchmal vergessen wir sogar, wo uns Kreuze im Alltag begegnen, die echte Kreuze sind, wie beim Roten Kreuz oder dem Andreaskreuz am Bahnübergang oder dem Patriarchenkreuz zum Beispiel auf den Euromünzen aus der Slovakei. Manchmal vergessen wir auch die eigentliche Bedeutung des Kreuzes. Zum Beispiel bei dem Thema Tod und Sterben bekommt man auf die Frage, warum auf dem Friedhof auf manchen Gräbern Kreuze stehen die Antwort, weil da die Toten liegen. Nun ist das nicht ganz falsch, aber beim Nachfragen wird dann schnell klar, die Meinung ist, das Kreuz erinnert an den Tod, dabei soll es doch genau das Gegenteil symbolisieren, den Glauben an die Auferstehung. Und so wird oft das Bild von dem, der sein Kreuz trägt, überstrapaziert mit dem Schleppen der Last, unter der dann jemand zusammenbricht, so wie Jesus auf seinem Weg nach Golgatha zusammenbrach. Darüber geht der Blick verloren für das Wesentliche, den Glauben an die Auferstehung. Johannes XXIII. soll auf dem Sterbebett seinen Neffen gebeten haben beiseite zu treten, weil dieser ihm den Blick auf den Auferstandenen verstelle, denn er stand zwischen ihm und dem Kruzifix an der Wand. Der Sterbende wollte nicht den Tod sehen, den er erwartete, sondern das Leben, das Leben in Gottes neuer Welt, auf das der Gekreuzigte dort im Kruzifix verwies.
Es ist tröstlich für uns, dass wir darauf vertrauen dürfen, dass wir in Jesus Christus dem Auferstandenen nicht nur Gottes Sohn sehen, sondern den, der vor allen anderen vom Tod auferstanden ist und wenn wir daran glauben, auch uns zur Auferstehung führen wird und damit zum ewigen Leben. Auch wenn die Passionszeit eine stille und besinnliche Zeit des Nachdenkens über das Vergängliche ist, so steht doch am Ende immer wieder der Blick auf Ostern, das österliche Licht. Man könnte fast sagen, es leuchtet schon ein wenig in diese doch eher dunkle Zeit hinein und lässt hoffen und auch angesichts des Todes froh werden über die Auferstehung.
Doch wenn ich zur Zeit an Kreuze denke, dann denke ich an den Krieg in der Ukraine, an gefallene Soldaten, getötete Zivilisten, an Tausende von Flüchtlingen und dass eben alle sie ihr Kreuz gerade zu tragen haben. Es ist ein Bild, das mir nicht gefällt, das traurig und nachdenklich macht. Aber, sehe ich jetzt gerade die Kreuze, um mich herum, ganz nah und in der Ferne, wo Menschen ihres zu tragen haben? Oder bin ich beruhigt mit meiner Spende oder wenn ich das Programm umgeschaltet habe, weil mir die Berichte vom Krieg langsam auf die Nerven gehen, so wie kurz vorher noch die Nachrichten von den Coronazahlen?
Es sind nicht nur die sichtbaren Kreuze, die wir im Alltag übersehen, sondern eben auch die vielen unsichtbaren, die andere zu tragen haben. Aber das Kreuz ist ein Hoffnungszeichen, wir dürfen nicht zulassen, dass es zur drückenden Last wird. Die Kunst ist es, das sehen zu wollen. Nicht zuzuschauen, wie sich andere abschleppen damit, sondern dem anderen die Last abzunehmen.
Pfr.i.E. Kay Lohse